St. Johannis in Herford

Bereits im 9. Jahrhundert, also kurz nach der Gründung der Herforder Abtei wurde auf dem Gelände der späteren Neustadt bei der Siedlung der "homines ecclesiae", der Kirchenhörigen, ein Friedhof angelegt. Bei Bauarbeiten in den Jahren 1906 und 1925 fand man Baumsärge aus jener Zeit unter den Fundamenten der Johanniskirche. 1906 wurde auch eine steinerne Lamm-Gottes Darstellung in den Turmfundamenten gefunden. Dieser Fund wird in das 11. oder 12. Jahrhundert datiert und wird als Indiz für die Existenz einer Kapelle angesehen, urkundlich nachgewiesen ist solch ein Bau aber nicht.
Erst mit der Gründung der Herforder Neustadt ab 1220 durch die Äbtissin Gertrud II. zur Lippe (Äbtissin von 1215 bis 1233) betritt man historisch sicheren Boden. 1224 war die Gründung der Neustadt fast zum Abschluss gebracht, da wird zum ersten Mal (1224) in einem schriftlich fixierten Stadtrecht von einer Kapelle in der Neustadt ("de novo opido .... capella") berichtet. Mit dem heutigen Bau scheint man jedoch erst um1240 bis 1250 begonnen zu haben. Es entstand eine quadratische ( 22m x 22m ) dreischiffige Hallenkirche, deren Seitenschiffe genauso breit sind wie das Mittelschiff. Das war eine einmalige Konstruktion, denn keine westfälische Hallenkirche war damals so aufgebaut. So haben die Seitenschiffe des Herforder Münsters nur 2/3 Breite des Mittelschiffes.
Wahrscheinlich wird der Kirchenbau zwischen 1262 und 1270 beendet worden sein, denn zu der Zeit wird erstmals von der Pfarrei St. Johannes  gesprochen und "Godefridu novi opdi sacerdos" (Gottfried, Priester der Neustadt) wird am 29.9.1262  erstmals in einer Urkunde der Äbtissin Ida von Herford erwähnt.
Erweiterungsbauten erfolgten zu Anfang des 14. Jahrhunderts. ( Chor bis ca. 1340; Turm bis ca. 1375) .

Das älteste erhaltene Glasfester des Chores ( Stationen aus dem Leben Jesu ) wird auf 1320/25 datiert. Ein weiteres Fenster des Chores stiftete wohl um 1350 Heinrich Stur (Stör) . Er wird in zahlreichen Urkunden zwischen 1338 und 1373 genannt. Er war Kirchmeister, Leiter der Bauarbeiten an der Kirche und außerdem wird er als Bürgermeister der Neustadt erwähnt. Das Wappen des Stifters, drei Fische mit einem gemeinsamen Kopf, sind im Fenster angebracht, außerdem kommt es, in Stein gehauen, auch noch am Turm vor. 1414 war für die Pfarrkirche St. Johannis ein wichtiges Jahr. Auf Anordnung des Papstes Johannes XXII, wurde das Chorherrenstift St. Dionysius aus Enger ( gegründet 947 durch Königinwitwe Mathilde, Ururenkelin Widukinds)  an die Herforder Johanniskirche verlegt. ( Die Zeiten waren sehr unsicher, Enger besaß im Gegensatz zu Herford keine Befestigung, so waren die Chorherren in den Herforder Mauern sicherer aufgehoben.) Seit der Verbindung mit dem Dionysiusstift wurde die Kirche nun "St. Johann und Dionys" genannt. Die Stiftsherren aus Enger brachten die ( angeblichen ) Gebeine des Sachsenherzogs Wittekind mit nach Herford, außerdem den Kirchenschatz aus Enger, mit den wertvollen Taufgaben von Kaiser Karl, dem Großen, an Wittekind. Das trug natürlich zum Ansehen der Johanniskirche bei.


Die Umwandlung der einfachen Pfarrkirche in eine Stiftskirche brachte dann auch im Inneren einige Veränderungen. Es wurde nun der Chor durch eine Schranke oder sogar durch eine Lettner (
Lettner (lat. lectionarium = Lesepult), Scheidewand zwischen dem Chor (für die Kleriker) und dem Mittelschiff (für die Laien). Seit dem 13. Jh. üblich. Der Lettner hat einen oder mehrere Durchgänge und eine über Treppen zugängliche Bühne (für die Sänger) mit einer Brüstung. Auf dieser steht das Lesepult, das der Anlage den Namen gab und von dem aus Epistel und Evangelium verlesen werden. Die meisten Lettner wurden nach dem Mittelalter zerstört, weil sie den Blick auf das Messopfer verwehrten.)
von der Gemeinde abgetrennt. Außerdem wurden für die zahlreichen Priester Seitenaltäre für stille Messen und Gebete eingerichtet.
1430 wurde der Turm noch erhöht. Er war mit fast 90 m Höhe der höchste Kirchturm der Stadt Herford. 1907/08 wurde der Turm bei  Renovierungs-/Umbauarbeiten um ein Stockwerk gekürzt. Heute ist er mit 73 m Höhe immer noch der höchste aller Herforder Kirchtürme.
Während der Reformation wurden alle Einrichtungsgegenstände aus der katholischen Zeit aus der Kirche entfernt ("Herforder Bildersturm" 1532). Danach wurde die Kirche im neuen evangelisch -lutherischen Geist wieder eingerichtet.
Betritt man heute die Kirche, so sollte man  folgende Gegenstände/Ausstattungen nicht übersehen.

* Die Chorraumfenster: das mittlere ( um 1500 ) stellt eine große Kreuzigungsgruppe dar;
das Fenster links davon ( 1350- 1355 ) zeigt im oberen Teil ebenfalls eine  Kreuzigungsgruppe mit Maria uns Johannes zu beiden Seiten. Darunter dreimal das Wappen des H. Stur ( s. o.)
Das Fenster rechts von der Mitte ist das Gegenstück des linken, es zeigt eine Auferstehungsszene. Die Glasmalereien sind jedoch neueren  Datums ( 1909). Das Fenster ganz rechts im Chorraum ist das älteste ( 1320 -1325). Es zeigt in 18 Medaillons  die Lebensgeschichte Jesu Christi.
Diese herrlichen, gotischen Fenster sind der zweitgrößte westfälische Bestand nach den Fenstern in der Wiesenkirche zu Soest. Sie  wurden im 2. Weltkrieg ( Mai 1940) durch Pfarrer Gaffron ausgebaut und dadurch nicht den Bombenangriffen ( 1944 ) ausgesetzt.
* Der Altar ist der erste, der nach der Reformation in Herford entstanden ist. (Spätrenaissance 1590-1560). Das dargestellte Abendmahl zeigt 13 statt 12 Personen, Neben Jesus und seinen Jüngern ist noch ein Diener dargestellt, der Wein einschenkt. Wahrscheinlich ist es der Stifter des Bildes.  Eine Besonderheit zeigt auch der gedeckte Tisch des Abendmahls. Haben doch Jesus und seine Jünger das typische westfälische Möpkenbrot auf dem Teller, ein Brot, das man hierzulande gerne zum Schlachtfest isst.
* An der Chorsüdwand ( re.) steht der Levitenstuhl ( um 1500), er war der Sitzplatz für die Priester (Leviten) und Diakone, die sich bei langen feierlichen Veranstaltungen darauf ausruhen konnten.
* Gegenüber dem Levitenstuhl steht der restliche Teil des Chorgestühls aus dem Jahre 1565. Es diente den Dionysiusherren für ihre Betstunden.

* Das Lesepult ( li.) ist leider nur eine Kopie aus dem  Jahre 1909. Das Original, aus der Zeit vor 1300, wurde 1878 für nur 300 Mark an das Berliner Kunstgewerbemuseum verkauft. Zu der gleichen Zeit wurde auch der gesamte Dionysiusschatz, den die Chorherren aus Enger mitgebracht hatten, nach Berlin gegeben.
* Der Taufstein stammt aus dem Jahre 1584. Der Taufdeckel kann mit einer Hebevorrichtung abgehoben werden.
* In der Sakristei steht ein gotischer Schrank, in dem über 450 Jahre lang der Kirchenschatz des Dionysiusstiftes aufbewahrt wurde.* Die Kanzel stammt aus dem Jahre 1602. Sie ist von dem Exbürgermeister Daniel Pöppelmann gestiftet worden. Pöppelmann wollte, dass seine Kirche eine genauso schöne Kanzel erhält, wie sie von Anton Brutlacht  in der Radewig gestiftet worden war. Ähnlichkeiten sind nicht von zu übersehen. Übrigens, der Urururenkel des Stifters war der berühmte Daniel Pöppelmann, der den Dresdner Zwinger erbaut hat. Auf dem Schalldeckel der Kanzel sind neben Jesus  Frauen zu sehen, die die fünf Sinne darstellen.


* Das Gestühl stammt aus dem Jahre 1909. Es ist eine Kopie des Originalgestühls aus dem 17.Jahrhundert.
* Reich ausgemalt ist das besonders ins Auge fallende Emporengestühl. Es ist im 17.Jahrhundert von bestimmten Zünften oder Berufsgruppen gestiftet worden. So durften dann auch nur die Mitglieder dieser Gruppen auf den entsprechenden Emporen Platz nehmen.
* Wir finden den Hökeramtsstuhl von 1661 ( Höker sind Kleinkaufleute), den Bäckeramtsstuhl von 1661 , den Leineweberamtsstuhl von 1658/61, den Schuhmacheramtsstuhl von 1667 und den Schneideramtsstuhl von 1669. Der Ratsherrenstuhl von1620 ist geschmückt mit den Bildern von neun alttestamentlichen Königen. Den Abschluss bildet der Kapitelherrenstuhl von 1660 mit aufwendigen Formen und Gemälden aus der Hochrenaissance. Hier saßen die Herren des Dionysiusstiftes.

Quellen: P. O. Walter: Herfords historische Kirchen im Bild; Herford 1993
DKV Kunstführer Nr. 399/3 ; St. Johannis in Herford; München
W. Schuler: Die Neustädter Johanniskirche in Herford; Herford, 1978